Eifel-Rallye-Festival: Artgerechtes Quertreiben ohne Zeitdruck
In diesem Cockpit ist alles doppelt vorhanden. Die Markierungen „Front“ und „Rear“ deuten es bereits an: Der Seat Ibiza Bimotor Group S Prototype aus dem Jahr 1986 besticht durch seine beiden an der Vorder- und Hinterachse eingebauten 1,5-Liter-Porsche-Vier-Zylinder-Motoren. Nacheinander startet Josep Maria Serviá die beiden Aggregate mit einem Tastendruck auf den jeweiligen Startknopf in der Mittelkonsole. Ein brachialer Stereo-Sound bricht los, begeistert die umstehenden Rallye-Enthusiasten und zwingt Fahrer und Co-Pilot für die weitere Kommunikation im Innenraum auf den Bordfunk in ihren Helmen auszuweichen.ADAC-Eifel-Rallye-Festival 2019: Seat Ibiza Bimotor Group S Prototype von 1986. Foto: Auto-Medienportal.Net/Seat
ampnet – 27. Juli 2019 Von Alexander Voigt
Der inzwischen 66-jährige ehemalige Seat-Werksfahrer Josep Maria Servià, in der Nähe von Barcelona geboren, begann er seine Rennkarriere in den 1980er Jahren bei „SEAT Sport“. An Entwicklung und Bau des zweimotorigen Rallye-Boliden war er entscheidend beteiligt. Mit ihm am Steuer wurde der erste von zwei Prototypen 1986 und 1987 Zweiter in der spanischen Schotter-Meisterschaft und fuhr 1988 noch einmal auf den dritten Platz. Die beiden Motoren liefern eine Gesamtleistung von 280 PS (206 kW); die Kraftübertragung erfolgt über zwei separate Fünf-Gang-Getriebe und zwei selbstsperrende Differenziale. Sowohl Front- als auch Heck- sowie ein nicht synchronisierter Allradantrieb sind somit möglich, erfordern aber permanente Aufmerksamkeit und echtes Können der Fahrer.
Derartige Preziosen der Rallye-Geschichte müssen einfach artgerecht
bewegt werden. Dieser Überzeugung folgen bereits seit 2011 jedes Jahr im
Sommer zehntausende Enthusiasten in die Vulkaneifel. Rund um das kleine
Städtchen Daun ging es beim diesjährigen ADAC-Eifel-Rallye-Festival auf
einen Shakedown als Auftakt und insgesamt acht Wertungsprüfungen.
Als die Organisatoren der Eifel-Rallye im Herbst 2010 freiwillig ihr
Prädikat für die Deutsche Rallye-Meisterschaft aufgaben, um ein Festival
für historische Rallyefahrzeuge zu schaffen, war die Originalität der
Autos einer der elementaren Eckpfeiler: Die Zuschauer sollen keinen
Unterschied zu den berühmten Fahrzeugen der vergangenen Jahrzehnte
erkennen. Aber es sind nicht nur ruhmreiche Originale wie ein 1977er
Skoda 130 RS oder ein Peugeot 205 T 16 E2 aus dem Jahr 1985 im Einsatz.
Auch sehr liebevoll gestaltete Nachbauten, die von ihren historischen
Vorbildern nicht zu unterscheiden sind, begeisterten in diesem Jahr die
rund 40 000 Zuschauer.
Eine weitere unverzichtbare Säule für den besonderen Charakter des Eifel-Rallye-Festivals ist der komplette Verzicht auf jegliche Form des Wettbewerbs. So können auch die seltenen und überaus beliebten Gruppe-B-Autos teilnehmen und auf der familiären „Rallye-Meile“ im Herzen von Daun herrscht gleichzeitig eine entspannte Atmosphäre ohne Leistungsdruck. Mit dem Verzicht auf jede Zeitnahme bei den Wertungsprüfungen gilt das Festival als Demonstrationsfahrt. Jedoch sorgt die professionelle Durchführung im Stile einer echten Rallye dafür, dass die rund 170 Startplätze schon Monate vor der Veranstaltung ausgebucht sind. Und selbstverständlich versucht jedes Team, den Zuschauern besonders schöne Erinnerungen und Bilder der artgerechten Quertreiberei zu liefern – aber eben stets nach eigenem Gusto.
Aus der rund 300 Fahrzeuge umfassenden Sammlung der 69-jährigen
Geschichte von Seat am historischen Stammsitz in der Zona Franca von
Barcelona waren die „Coches Históricos“ mit einem kleinen Team von
Mechanikern und Spezialisten unter der Leitung von Isidre López Badenas
in die Eifel gekommen. Und sie hatten neben dem Seat Ibiza Bimotor noch
einen zweiten Rallye-Boliden aus ihrer Sammlung im Gepäck: Bereits im
vergangenen Jahr zeigte der Seat Ibiza Kit Car aus dem Jahr 1996 bei
seinem ersten Auftritt in der Eifel, dass es speziell auf Asphalt bis
heute eine „Hausnummer“ ist. Unter der Haube des nur 950 Kilogramm
leichten Frontrieblers steckt ein hochdrehender 2,0-Liter-Vierzylinder,
der es auf 260 PS (191 kW) bringt. Rennlorbeeren konnte das Kit Car
ernten, als es von 1996 bis 1998 dreimal in Folge die
Zwei-Liter-Weltmeisterschaft gewann.
Aber auch auf Schotter machte das Kit Car eine gute Figur. Sein Fahrer
ließ es ordentlich fliegen – auf mehreren Sprungkuppen im wahrsten Sinne
des Wortes. Im Wasserloch der ersten Wertungsprüfung blieben weder der
Seat noch die ersten Zuschauerreihen trocken. Der Mann, der in diesem
Jahr in der Eifel am Steuer saß, dürfte vielen Motorsportfans noch ein
Begriff sein: Erwin Weber, der Rallye-Europameister von 1992. Mit seinem
sensationellen zehnten Platz bei der Rallye Monte Carlo 1996 mit dem
Seat Ibiza Kit Car und drei weiteren Podiumsplätzen hatte der Münchener
entscheidenden Anteil daran, dass Seat im selben Jahr in einem
dramatischen Finish erstmals die F2-Hersteller-Weltmeisterschaft für
sich entscheiden konnte.
Erwin Weber war zum ersten Mal beim Rallye-Festival und zeigte sich bei
der Zieldurchfahrt begeistert: „Es macht unendlichen Spaß, vor den
vielen Zuschauern zu fahren. An manchen Stellen ist der ganze Hang voll
mit Fans.“ Und weiter: „Unglaublich, dass man das Rallyefahren, wie das
Schwimmen, auch nach vielen Jahren nicht verlernt hat.“ Ob man Weber
bereits beim 10. ADAC Eifel Rallye Festival 2020 wieder sehen wird?
Hoffentlich, denn das Festival 2019 bewies leider, dass selbst eine
nicht auf Zeit gefahrene Motorsportveranstaltung gefährlich bleibt: Noch
gar nicht richtig gestartet, stand allen Beteiligten der Schrecken ins
Gesicht geschrieben. Beim Shakedown kam eines der ersten Fahrzeuge von
der Strecke ab und verletzte dabei sechs Zuschauer. Anwesende Ärzte und
Rettungssanitäter leisteten sofort Hilfe. Die Verletzten wurden in
umliegende Krankenhäuser gebracht.
(c) ampnet/av
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